Haiku – klassische japanische Lyrik in drei Zeilen
Das klassische japanische Haiku gilt als kürzeste Gedichtform der Welt. Kurz, schlicht und ohne Reim ziehen die Gedichte den Leser doch schnell in den Bann. Wie sind die Regeln, wer sind die berühmtesten Autoren und wie entstand das Haiku?
Haiku (俳句) ist eine ursprünglich aus Japan stammende Form der Kurzformdichtung. Traditionelle japanische Haiku bestehen aus drei Sätzen, mit fünf Silben in der ersten Zeile, sieben in der zweiten und fünf in der dritten. Das Haiku tauchte erstmals im 17. Jahrhundert in der japanischen Literatur auf, wurde aber erst im 19. Jahrhundert unter dem Namen Haiku bekannt. Heute werden Haiku von Autoren auf der ganzen Welt geschrieben.
- Haiku und Zeichnung von Matsuo Bashō:" Leise, leise, / gelbe Bergrosen fallen – / Geräusch der Stromschnellen“
Matsuo Basho, Basho Horohoroto, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons
Wie entstand Haiku in Japan?
Haiku entstand als Eröffnungsteil des klassischen japanischen Kettengedichts Renga (連歌). Diese als Eröffnungsstrophe geschriebenen Haiku waren als Hokku bekannt. Im Laufe des 16. Jahrhunderts begannen Schriftsteller, sie als eigenständige Gedichte zu schreiben.
Seinen heutigen Namen erhielt Haiku Ende des 19. Jahrhunderts von dem japanischen Schriftsteller Masaoka Shiki (正岡 子規), dem Begründer des modernen Haiku.
- Masaoka Shiki übte großen Einfluss auf die moderne japanische Literatur aus und starb schon im Alter von 34 Jahren an Tuberkulose.
Foto: Unbekannter Autor - This image is available from the website of the National Diet Library, Gemeinfrei
Eine kleine Bewegung innerhalb der modernen japanischen Haiku (現代俳句, gendai-Haiku, unterstützt von Ogiwara Seisensui hat sich aus der Tradition entfernt und proklamiert die Nichtnotwendigkeit von Kigo.
Diese speziell japanischen Phrasen stehen immer in einem Zusammenhang mit der jeweiligen Jahreszeit. Die Kirschblüte ist beispielsweise ein Kigo für den Frühling, Regen für den Sommer, fallendes Laub für den Herbst und Schnee für den Winter.
- Ein kleiner Kuckuck über einer Hortensie Yosa Buson (1716 - 1784) 与謝蕪村
Foto: A little cuckoo across a hydrangea(Haiga) by Yosa Buson, gemeinfrei, Wikimedia Commons
Haiku: worum geht es?
Traditionell haben sich Haiku-Autoren darauf konzentriert, emotional suggestive Momente der Erfahrung von Naturphänomenen auszudrücken.
Dieser Ansatz wurde durch den Dichter Bashō aus dem 17. Jahrhundert gefestigt und populär gemacht. Viele seiner Haiku spiegelten seinen eigenen emotionalen Zustand bei der Kommunikation mit der Natur wider.
Im 19. Jahrhundert erweiterten sich Haiku-Themen über natürliche Themen hinaus.
Gemälde von Yosa Buson: Krähen und Falke
Foto: A black hawk and two crows by Yosa Buson, gemeinfrei, Wikimedia Commons
Wie sind die Regeln für Haiku Verse?
Wie erkennen Sie ein Haiku und wie sind die Kurzgedichte aufgebaut? Ein entscheidendes Merkmal sind die strengen, unveränderlichen Regeln:
- Es gibt nur drei Zeilen mit insgesamt 17 Silben. Die erste Zeile besteht aus 5 Silben. Die zweite Zeile hat 7 Silben. Die dritte Zeile besteht wie die erste aus 5 Silben.
- Interpunktion und Großschreibung sind Sache des Dichters und müssen nicht starren grammatikalischen Regeln folgen.
- Ein Haiku muss sich nicht reimen, normalerweise reimt es sich überhaupt nicht.
- Wiederholungen von Wörtern oder Lauten sind nicht selten.
- Die wichtigste Regel: das Haiku vermittelt einen einzelnen Moment des Erkennens oder Sehens.
- Traditionelle Haiku nutzen generell „Kigo“, Worte die sich auf eine bestimmte Jahreszeit beziehen
- Ein klassisches Haiku trennt zwei Gedanken oder Bilder mit einer Zäsur, dem Kireji (切れ字), einem Scheidewort. Im Deutschen sind die Kireji vergleichbar mit Satzzeichen, die im Japanischen ausgesprochen werden. Ein Kireji kann aber auch ein Ausruf sein („ya“).
Ein Beispiel: ein Haiku von Ryōkan, einem zen-buddhistischen Mönch aus dem 17. Jahrhundert über das Erleben einer Vollmondnacht:
Decken auf dem Gras,
eine Nacht lang ohne Haus –
reich nur durch den Mond.
- Chimaki, Haiku Tusche auf Papier von Matsumura Goshun (Malerei) und Yosa Buson (Kalligrafie)
Foto: Matsumura Goshun - ArtDaily.com, Gemeinfrei
Berühmte Haiku Dichter und Schriftsteller
Die „Großen Vier“ der japanischen Haiku-Dichtkunst:
- Matsuo Basho (1644-1694, 松尾 芭蕉) war einer der größten japanischen Dichter. In zahlreichen Anthologien und Reisetagebüchern erhob er das Haiku zur ernsten Poesie und gilt bis heute als der größte Haiku-Dichter.
Sein so genanntes „Frosch-Haiku“ gilt als das bekannteste Haiku der Welt:
古池や - 蛙飛び込む - 水の音
Es gibt verschiedene Übersetzungsvarianten, hier eine der populärsten:
Ein uralter Teich / ein Frosch springt hinein / das Spritzen von Wasser - Yosa Buson (1716-1784, 与謝 蕪村) war einer der größten Dichter und Maler der Edo-Zeit. Busons Verse, die sein Interesse an der Malerei widerspiegeln, sind kunstvoll und sinnlich, reich an visuellen Details:
菜の花や - 月は東に - 日は西に
Rapsblüten! / der Mond im Osten / die Sonne im Westen - Kobayashi Issa /1763-1828, 小林 一茶) war nicht nur einer der bekanntesten Haiku-Dichter sondern auch buddhistischer Laienpriester des Jōdo Shinshū. Er schrieb unter dem Kurz-Pseudonym „Issa“, übersetzt „ein Tee“ oder „ein Schluck Tee“, zu verstehen als Ausdruck von Einfachheit und Bescheidenheit. Einer seiner berühmten Sommerverse:
すず風や - 力いっぱい - きりぎりす
Die kühle Brise / mit all seiner Kraft / Die Grille. - Masaoka Shiki (正岡 子規, 1867-1902) wurde in eine Samurai- Familie hineingeboren. Als Dichter, Essayist und Kritiker der Haiku und Tanka belebte er traditionelle japanische poetische Formen wieder. Sein berühmtes kurz vor seinem Tode entstandenes Sterbegedicht:
糸瓜咲て - 痰のつまりし - 佛かな.
Der Schwammkürbis blüht, und ich werde zu Buddha, dem der Auswurf den Atem nahm.
- Denkmal für das „Frosch-Haiku“ von Matsuo Bashō im Kiyosumi Garten von Tokyo
Foto: Eckhard Pecher, Frog Haiku Memorial Jun09, CC BY 3.0
Modernes Haiku
- Das Haiku begann im frühen 20. Jahrhundert außerhalb Japans allgemeine Anerkennung zu erlangen. Im englischsprachigen Raum wurde die Form von der literarischen Avangarde wie Ezra Pound und später von Schriftstellern der Beat-Generation wie Allen Ginsberg populär gemacht. Eines der ikonischsten Haikus von Ginsberg:
"Rainy night on Union Square, full moon. Want more poems? Wait till I’m dead." - Seit den 1920er Jahren erschienen Haikus auch im deutschsprachigen Raum. Der bedeutendste Vertreter und Mitbegründer der literarischen Moderne in Europa ist sicherlich Rainer Maria Rilke.
Kleine Motten taumeln schaudernd quer aus dem Buchs; sie sterben heute abend und werden nie wissen, daß es nicht Frühling war. - Die Popularität der Haiku nimmt nach dem Zweiten Weltkrieg erheblich zu. Heute werden Haiku in einer Vielzahl von Sprachen geschrieben. Heute soll es annähernd eine Million Japaner geben, die unter Anleitung eines Lehrers Haiku schreiben.
- Haiku in anderen Sprachen haben unterschiedliche Stile und Traditionen, beinhalten aber immer noch Aspekte der traditionellen japanischen Haiku-Form.
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