Nakagin Capsule Tower – dem einst visionären Gebäude droht der Verfall
Tokio ist reich an ikonischen Bauten. Eines der aufsehenerregendsten architektonischen Experimente und Wallfahrtsort für Liebhaber moderner Architektur ist der 1972 vom Architekten Kisho Kurokawa errichtete Nakagin Capsule Tower, japanisch Nakagin Kapuseru Tawā ( 中銀カプセルタワ).
Das 13 Stockwerke zählende Hochhaus bietet in den zwei unteren, eher gewöhnlichen Stockwerken Raum für Gewerbe und Büros. Darüber erheben sich über 11 Stockwerke die berühmten 140 modularen, passend eingerichteten und ausgestatteten Wohneinheiten. Jede Einheit mit Dusche misst je 9 qm und ist an zwei sogenannten Erschließungskernen angebracht.
So ragen links und rechts, vorn und hinten Module hinauf und wirken ein bisschen wie ein Turm aus Legosteinen, die man immer etwas versetzt aufeinander steckt.
- Alle Module des Gebäudes können ausgetauscht und verändert werden. Eine zukunftsweisende Funktion, die nie genutzt wurde. Bild: © Raphael Koh - Unsplash
Die kleinen 9 qm Module waren dabei nie wirklich als richtige Wohnungen, sondern als Business-Kapseln gedacht, wie der Architekt Kurokawa sie selber nannte. Darunter stellte er sich Schlafstätten und Mini-Büros für Angestellte vor, die nicht jeden Tag aus der Innenstadt Tokios hinaus pendeln wollten oder konnten.
Der Capsule Tower ist der Vorläufer der heute bei Touristen so beliebten Kapsel-Hotels. Jedes der kubischen Module ist mit einem großen, an ein Bullauge erinnerndes Fenster ausgestattet und komplett eigenständig, so dass die Module einzeln ausgetauscht werden könnten.
Die Module wurden allerdings seit den 70er Jahren nicht ausgetauscht, zudem ist der Bau asbestbelastet. So befindet sich der nur noch etwa zur Hälfte genutzte Nakagin Capsule Tower inzwischen in einem bemitleidenswerten Zustand und wäre im Jahr 2007 beinahe abgerissen worden, wäre nicht die Finanzkrise dazwischengekommen.
Lösungen für Wohnungsmangel und Brutalismus
- So sah in den 70er Jahren die Zukunft aus. Austellungs-Kapsel im Mori Art Museum 2011. Bild: © Dick Johnson - Flickr: Nakagin Capsule Tower, CC BY 2.0, wikimedia
Seinerzeit suchte der schon damals bekannte Architekt Kurokawa mit diesem höchst ungewöhnlichen Design nach einer Lösung für das zunehmende Wohnungs- und Platzproblem in Japan und vor allem in Tokio.
Durch die modulare Bauweise sollten bezahlbare und leicht zu ersetzende Wohneinheiten entstehen. Anstatt eine komplizierte Renovierung vorzunehmen, könnten die Module – eine Massenfertigung einmal vorausgesetzt, zu der es nie kam – bei Schäden schnell und problemlos ausgetauscht werden.
Durchgesetzt hat sich Kurokawas visionäre Idee allerdings nicht und so ist der Nakagin Capsule Tower das einzige Bauwerk auf der Welt, das die von ihm entwickelte Idee eines modularen Wohnhauses umsetzt.
Der Nakagin Capsule Tower gilt heute als eines der Wahrzeichen des Brutalismus, einer Architekturströmung, an der sich berechtigterweise die Geister scheiden. Der Brutalismus ist gerade in den letzten Jahren vermehrt über Kongresse, Ausstellungen und Publikationen zurück in den Fokus der Öffentlichkeit getreten.
Die Gebäude zeichnen sich durch klare Formen und häufig im Ansatz gut gemeinte soziale Aspekte aus. Beispiele für Bauwerke des Brutalismus in Deutschland sind zum Beispiel die Stadt- und Universitätsbibliothek in Köln oder die spektakuläre Wallfahrtskirche im niederrheinischen Neviges.
Bei dem Nakagin Capsule Tower handelt es sich strenggenommen sogar um ein Bauwerk des Metabolismus, einer spezifisch japanischen Untergruppe des Brutalismus.
Initiative zur Erhaltung des Nakagin Capsule Towers
- Heute ist der weltberühmte Kapsel-Tower in teils mitleiderregenden Zustand. Bild: © Pavlo Klein - Unsplash
Der Nakagin Capsule Tower ist weltweit bekannt und zieht jedes Jahr unzählige Architektur-Touristen aus der ganzen Welt an – eine der wichtigen Sehenswürdigkeiten der modernen Architektur in Tokio. Trotzdem steht das Gebäude nicht unter Denkmalschutz.
Grund dürfte die ungeschriebene Regelung sein, in Japan erst nach 50 Jahren Denkmalschutz zu gewähren. In 5 Jahren dürfte es also soweit sein, bis dahin versuchen Architekturliebhaber einen vorzeitigen Abriss zu verhindern.
Der drohende Abriss im Jahr 2007 konnte aufgrund der Pleite des Bauunternehmens während der Finanzkrise erst einmal abgewendet werden. Damals formierte sich der Widerstand und viele der besser erhaltenen Module haben inzwischen den Besitzer oder Bewohner gewechselt.
Einer der Köpfe der Initiative ist der jetzt im Nakagin Capsule Tower wohnende Werbefachmann Tatsuyuki Maeda, der mit 15 Mitstreitern einen Verein zur Rettung des Gebäudes gründete und erstmals Führungen durch das ungewöhnliche Bauwerk anbietet.
Daneben veranstalten die Bewohner und Mitglieder des Vereins Ausstellungen und Diskussionsveranstaltungen und suchen neue, der Sache der Erhaltung des Gebäudes geneigte Mieter und Käufer für einzelne Module.
Immerhin ist der unmittelbare Abriss des Nakagin Capsule Towers nach dem positiven Abschluss eines Erdbebensicherheitsgutachtens erst einmal abgewendet. Eine Renovierung des mittlerweile schon stark abgenutzten Gebäudes steht allerdings noch in den Sternen. Die ohnehin hohen Renovierungskosten drohen aufgrund der latenten Asbestbelastung noch einmal zu explodieren.
Wohnen im Nakagin Capsule Tower
Die kurzzeitige Vermietung einzelner Module in Form von Ferienwohnungen wurde von der Stadt Tokio als unzulässig verboten. Trotzdem kann man auch als Tourist den Nakagin Capsule Tower nicht nur besuchen, sondern auch in einer der modularen Kapseln wohnen.
Der Haken: man muss das Modul gleich für einen ganzen Monat buchen, was mit 120.000 Yen zu Buche schlägt – ohne funktionierende Dusche. Dafür kann man öffentliche Duschkabinen im Gebäude aufsuchen, wie die meisten Bewohner.
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