Rituale beim Schreinbesuch: Das machen Japaner im Tempel
In der westlichen Tradition (insbesondere im Christentum) sehen Kirchenbesuche ganz anders aus als in Asien und besonders in Japan. Der Gang zum Tempel ist für Japaner selbstverständlich und ist nicht nur für streng religiöse Familien wichtig. Viele Japaner gehen unabhängig von ihrem Glauben in berühmte Tempel und Schreinanlagen, um dort den überlieferten Traditionen nachzugehen. Und obwohl es zahlreiche verschiedene Religionen in Japan gibt, gleichen sich viele Sitten beim Besuch eines Schreins oder Tempel bemerkenswert. Das richtige Verhalten an einem heiligen Ort ist natürlich auch für Touristen interessant und wichtig – vereinfacht wird dies durch die Tatsache, dass viele Rituale unabhängig von der ausgeübten Religionsform in allen Tempeln angebracht und akzeptabel sein können.
Privater Tempelgang
Die totale Ausnahme sind in Japan gemeinsame Gebete oder Messen, wie man sie aus Kirchen gewohnt ist. Vielmehr ist bei den Japanern das sogenannte o-mairi verbreitet, bei dem man sehr persönlich mit der jeweiligen Gottheit umgeht. Das Wort selbst ist abgeleitet vom Begriff mairu, das man als „gehen“ oder auch „in-sich-gehen“ übersetzen könnte. Es drückt eine Art der Bescheidenheit aus, mit der man den Göttern und Ahnen den Respekt erweist. Der Ausdruck entspricht vielleicht am ehesten unserem „Kirchgang“. Da mit omairi also grundsätzlich ein Tempelgang oder Schreingang gemeint ist, spielt es zunächst keine große Rolle, ob es sich um ein Bauwerk von Buddhisten oder Shintoisten handelt. Selbst wenn viele Japaner gleichzeitig einen Tempel oder Schrein aufsuchen (beispielsweise an Festtagen), sind ihre Rituale und Gebete sehr persönlich und individuell ausgerichtet. Hin und wieder gibt es auch in japanischen Tempeln ein gemeinsames Gebet oder andere ähnliche Zusammenkünfte, bei denen alle vereint Rituale ausüben, doch das ist zumindest in öffentlichen Bereichen eher selten.
Wasser gehört zum Ritual
Fast immer findet man im Eingangsbereich oder auf einem Vorplatz zum Schrein bzw. Tempel (oder des jeweiligen Geländes) einen temizuya, einen rituellen Brunnen. Diese sind häufig mit imposanten Skulpturen in Drachenform verziert, die statt Feuer Wasser speien. Es ist Sitte, sich vor dem Betreten eines Tempels oder Schreins rituell zu reinigen. Daher schöpft man mit einer speziellen Kelle aus dem Brunnen und spült die Hände ab. Sehr verbreitet ist auch eine Reinigung des Mundes, wobei es in Japan sehr wichtig ist, die Wasserkelle nicht mit den Lippen zu berühren. Dies mag vor allem hygienische Gründe haben, aber es gibt auch verschiedene spirituelle Erklärungen dafür. Ebenfalls im Eingangsbereich zu finden sind häufig Verkaufsstände oder kleine Läden, in denen Gegenstände für die religiösen Rituale verkauft werden. So kann man vor allem in buddhistisch orientierten Tempeln normalerweise Räucherstäbchen in verschiedenen Variationen kaufen. Sie sind ein wichtiger Bestandteil einer weiteren rituellen Reinigung. Denn nach dem Wasser ist Rauch die zweite Möglichkeit, Geist, Seele und Körper im spirituellen Sinne zu reinigen.
Reinigung von Körper und Geist
Hat man die Räucherstäbchen erworben, geht man zum Rauchbecken, dem sogenannten o-koro. Hier werden die Stäbchen entzündet. Je nach Besucheraufkommen variiert die Dichte des Rauchs, der aus dem okoro aufsteigt. Sind es nur einige wenige Räucherstäbchen, ist es natürlich weniger Rauch als wenn der Tempel an einem Feiertag besonders gut besucht wird. Dann quillt wirklich viel Rauch über den Rand des Beckens. Die Besucher gruppieren sich um die Rauchbecken, um sich den Rauch zuzufächeln. Dabei wird er vor allem auf die Stellen des Körpers gewedelt, die einem gesundheitliche Probleme bereiten. Hat also beispielsweise jemand Rheuma, wird er sich den Rauch vielleicht auf die betroffenen Gelenke fächern. Auch zur Vorbeugung oder zur generellen Kräftigung bestimmter Körperregionen wird dieses Ritual gerne praktiziert. Deswegen sollte auch niemand überrascht sein, wenn sich so mancher japanische Mann den Rauch in seinen Schritt wedelt – denn auch für die Potenz wird das Ritual als hilfreich angesehen. Die Idee dahinter ist, dass der Rauch ebenso wie das Wasser zur Reinigung, Stärkung und Heilung verwendet werden kann. Hat man keine besonderen gesundheitlichen Probleme oder Wünsche, dienen beide Rituale aber auch zur Vorbereitung auf das Treffen mit der im Tempel ansässigen Gottheit.
Der Gottheit die Ehre erweisen
Um diese Begegnung zu initiieren, begibt man sich nach der rituellen Reinigung zum Hauptgebäude des Schreins bzw. Tempels. Achtung: Wenn der Schrein oder Tempel keinen Steinboden besitzt, werden vor der Haupthalle die Schuhe ausgezogen! Im Zweifel sollte man sich einfach im Eingangsbereich umschauen: Ziehen die Japaner ihre Schuhe aus oder stehen dort bereits Schuhe, sollte man seine auch ausziehen, bevor die Anlage betreten wird. Dann geht es weiter zur Haupthalle. In die sogenannten saisen bako, spezielle Behälter für Spenden, werden einige Münzen eingeworfen. Diese Behälter stehen meist direkt vorm Eingang, so dass der Besucher den Tempel gar nicht betreten kann, ohne an einem saisen bako vorbei zu müssen. Um die jeweilige Gottheit auf den Gläubigen aufmerksam zu machen, läutet man eine Glocke oder klatscht laut in die Hände. Viele tun auch beides. In der japanischen Religion ist es auch außerhalb von Tempeln eine alte Sitte, die Götter durch diese Geräusche (vor allem das laute Klatschen) auf die Anliegen der Menschen aufmerksam zu machen. Anschließend verharrt man mit gefalteten Händen einen Moment und verneigt sich. Mit diesem Ritual hat man dann bereits der Gottheit die erforderliche Ehrfurcht entgegengebracht. Nach einem kurzen Verharren (beispielsweise zum Gebet) kehrt man dann wieder zu den Schuhen zurück und zieht sie wieder an.
An erfahrenen Besuchern orientieren
Das Bemerkenswerte an diesen einfachen Ritualen ist, dass sie sowohl in Shinto-Tempeln als auch in buddhistischen oder anderen Schreinen anwendbar sind und daher quasi universelle Gültigkeit besitzen. Darüber hinaus gibt es natürlich je nach Religion noch eigene Rituale, die man aber als Außenstehender nicht unbedingt kennen oder erlernen muss. Unterschiede gibt es vor allem in der Reihenfolge der ausgeführten Schritte, aber auch in der Häufigkeit mancher Rituale (beispielsweise des Klatschens). Ein guter Tipp ist es, sich an älteren Leuten zu orientieren, die meistens eine entsprechende Erfahrung besitzen. Auch viele jüngere Japaner tun dies, weswegen man sich als Ausländer nicht komisch vorkommen muss, Rituale nachzuahmen. In der Regel macht man nichts falsch, wenn man die Rituale der anderen übernimmt. Natürlich kann man sich auch im Detail über die jeweiligen Sitten der spezifischen Tempelanlagen informieren. Häufig gibt es hierfür ausführliche Anleitungen im Internet.
Glücksbringer und Windspiele gehören zu den meisten Tempeln
Eine weitere verbreitete Tradition beim Besuch eines Tempels oder Schreins in Japan ist der Kauf von Talismanen, also Glücksbringern, die vor allem an bedeutenden Festtagen wichtig sind. Sie werden ebenfalls im Tempelumfeld verkauft und besitzen dem Glauben zufolge magische Kräfte und Eigenschaften, die ein Anliegen an die Götter wirksam unterstützen oder einfach nur Glück bringen sollen. Der Verkauf solcher Gegenstände ist bei allen größeren Religionen in Japan üblich. Wenn man sich die ein paar ältere Tempel genauer ansieht, fallen die Windspiele ins Auge, die an der einen oder anderen Dachecke befestigt sind. Solche und ähnliche Windspiele sind es, die sich auch in vielen japanischen Gärten finden – im Westen gehören sie zu den beliebtesten Einrichtungsgegenständen, wenn Menschen ihr Haus, ihren Garten oder ihre Wohnung mit japanischen Accessoires ausstatten möchten. Am Tempel sorgen sie für eine „gute Stimmung“ der Götter, sollen böse Geister vom Betreten des Schreins abhalten oder einfach nur die Aufmerksamkeit der Gottheit auf das Bauwerk richten. Die Bedeutung der Windspiele unterscheidet sich jedoch je nach religiöser Lehre bisweilen. Für die meisten Menschen sind es einfach schöne Dekorationen, die meditative Klänge verbreiten, die alleine durch den Einfluss der Natur (also der Götter selbst) entstehen.
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