Arbeiten in Japan – westeuropäische Vorstellungen und die Realität
In Westeuropa hat sich ein relativ eindeutiges Bild über das Arbeiten in Japan eingebrannt. Japaner arbeiten hart, lange, haben wenig Freizeit und sind völlig erschöpft, wenn Sie nach Hause kommen. Allerdings handelt es sich dabei um ein sehr westeuropäisch geprägtes Bild. Welche der Klischees über Arbeiten in Japan stimmen wirklich – und sind die Unterschiede zu unserer Arbeitskultur tatsächlich so groß? In einigen Punkten stimmt das projizierte Bild – in einigen anderen jedoch nicht.
Die japanische Arbeitskultur – Überstunden, Nomikai und Karoshi
- Nomikai sind in vielen japanischen Firmen soziale Pflichtveranstaltungen zur Teambildung. - Bild: © kai - Fotolia.com
Richtig ist, dass in Japan viele Überstunden geleistet und auch erwartet werden. Gemäß Umfragen der japanischen Regierung gaben 23 Prozent der Unternehmen an, dass manche ihrer Mitarbeiter 80 Überstunden pro Monat über die Arbeitszeiten in Japan hinaus leisten – oder sogar mehr. Das genügt in Deutschland, um eine Teilzeitstelle zu füllen.
Eine Folge sind Suizide. Offiziell anerkannt wurden für das letzte Steuerjahr (1. April 2015 bis 31. März 2016) 93 Suizide infolge beruflicher Überbelastung. In Zusammenhang mit Problemen auf der Arbeit wurden jedoch fast 2.200 Suizide registriert. Ebenso gibt es in Japan ein eigenes Wort für den beruflich begründeten Tod – nicht etwa aufgrund von Berufskrankheiten, sondern schlicht durch Stress und Überlastung. Der sogenannte Karoshi ist unabhängig vom Alter des Arbeiters und tritt häufig ohne bekannte Vorerkrankung in Form eines Schlaganfalls oder Herzinfarktes auf.
Auch die betrieblichen Veranstaltungen in Japan nehmen einen wichtigen Platz in der Gesellschaft ein. Nomikai sind betriebliche Veranstaltungen in Japan. Diese finden deutlich häufiger statt, als wir es in Deutschland gewohnt sind. Anlässe können Jubiläen, der Einstand oder die Verabschiedung eines Mitarbeiters, der Abschluss großer Projekte oder ähnliche Gründe sein. Meist werden die Nomikai in Izakayas veranstaltet. Ein Kommen ist zwar keine Pflicht, wird jedoch zumindest in einem angemessenen Maße erwartet, da Nomikai als soziale Teambuilding-Maßnahme der Betriebe verstanden werden.
Wie frühkindlicher Druck die Jobsuche in Japan beeinflusst
- Schon früh werden die Kinder auf die japanische Arbeitswelt vorbereitet - ein guter Job kann nur mit harter Arbeit ergattert werden. - Bild: © milatas - Fotolia.com
Der Druck, der die japanische Arbeitskultur prägt, wird bereits im Kindesalter gelegt. Für die Jobsuche in Japan ist es erforderlich, einen besonders guten Abschluss zu haben. Nur wenige Universitäten haben ein so gutes Image, dass man mit einem Abschluss überall in Japan einen Job bekommen würde. Entsprechend ist bereits die frühe Bildung von Druck und hohen Erwartungen geprägt. Nach der Schule bekommen Kinder häufig Privatunterricht in den unterschiedlichsten Fächern. So verbringen sie fast den ganzen Tag mit dem Lernen und bekommen eines vermittelt: Wenn man etwas erreichen möchte, gelingt das ausschließlich mit harter Arbeit.
Bedeutet Arbeiten in Japan eine höhere Produktivität?
- Die japanische Ingenieurskunst gilt als eine der besten, ist aber auch nicht perfekt. - Bild: © moonrise - Fotolia.com
Auf der anderen Seite ist es nicht so, dass die längeren Arbeitszeiten in Japan mit einer höheren Produktivität gleichzusetzen sind. Beispielsweise wurde im Zuge eines großen Straßeneinbruchs darüber berichtet, dass der Schaden durch japanische Arbeiter innerhalb weniger Tage behoben wurde. Während die schnelle Behebung ein Anzeichen für die hohen Standards der Ingenieursbranche in Japan ist, so wurde der Einbruch der Straße überhaupt erst durch fehlerhaftes Arbeiten dieser Branche verursacht, sodass diese Leistung notwendig wurde. Ebenso hat die Katastrophe in Fukushima durch den Ausfall der Kühlung des Reaktors gezeigt, dass die Ingenieursstandards in Japan eben nicht unfehlbar sind.
Auch der Verzicht auf Urlaub findet nicht statt, weil Japaner ihre Arbeit so sehr lieben, dass sie diesen freiwillig abgeben. Hier herrscht schlicht ein anderer gesellschaftlicher Druck. Wer nämlich in den Urlaub geht, überlässt seine Arbeit den anderen Mitarbeitern im Unternehmen – was deren notwendiges Arbeitspensum zusätzlich erhöht. In Japan ist das ein No-Go. Erholung holen sich japanische Arbeiter lieber an den nationalen Feiertagen. Von diesen gibt es eine deutlich größere Zahl als hierzulande.
- Unzählige Meetings ziehen die Aufgaben oft unnötig in die Länge. - Bild: © paylessimages - Fotolia.com
Ähnlich verhält es sich mit der generellen Produktivität. Besonders in Japan werden kleine Aufgaben häufig in die Länge gezogen. Gerade wenn die Überstunden bezahlt werden und die Produktivität insgesamt nicht so kritisch betrachtet wird, ist es für viele Japaner ein guter Anlass, um einfach mehr Geld zu verdienen – bei gleichem Arbeitspensum. Gerade bei unbezahlten Überstunden kann es jedoch tatsächlich sein, dass der gesellschaftliche Druck ausschlaggebend dafür ist – beispielweise weil der Chef und die anderen Mitarbeiter auch so lange arbeiten. Die Produktivität leidet jedoch definitiv unter endlosen Meetings, selbst geschaffener Bürokratie und ähnlichen teils sinnlosen Beschäftigungen. Entsprechend stellt sich auch die Frage, ob Japaner unbedingt von ihrer Arbeit oder sozialen Maßnahmen wie dem Nomikai, der häufig mit großen Mengen Alkohol verbunden ist, geschafft sind.
Wie ist die japanische Arbeitswelt insgesamt einzustufen?
- Das japanische Arbeitssystem laugt die Angestellten oft aus, führt aber nicht zwangsläufig zu erhöhter Produktivität. - Bild: © NOBU - Fotolia.com
Es ist so, dass die japanische Arbeitskultur von gewissen gesellschaftlichen Vorstellungen geprägt ist. Dazu zählen lange Arbeitszeiten, das Ansehen beim Chef sowie den Mitarbeitern und die frühkindliche Prägung zur harten Arbeit. Auf der anderen Seite bedeutet das jedoch nicht, dass Japaner zwangsläufig aufgrund ihres Fleißes länger arbeiten und produktiver sind. Häufig ist vor allem die höhere Bezahlung ein Grund für viele Überstunden – und auch die Produktivität leidet durch die weite Verteilung einfacher Aufgaben über den Tag und die Beschäftigung mit überflüssigen Tätigkeiten.
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