Doyou no ushi no hi - Warum heute in ganz Japan Aal gegessen wird
Es ist der 29. Juli 2014 und Sie sind auf der Suche nach dem perfekten japanischen Sommeressen? In Japan gibt es seit Jahrhunderten eine kulinarische Tradition, die Glück und Gesundheit an heißen Tagen bescheren soll. Entscheidend ist es allerdings den richtigen Tag nicht zu verpassen. Ein ehemaliger Austauschstudent und Japanwelt-Mitarbeiter berichtet:
Sommermüdigkeit, Aal und der Tag des Ochsen
Pech, wenn man zur Recherche für eine Seminararbeit den ganzen Tag an der Uni verbringen muss. Generell verspüre ich an solch heißen Tagen wenig Hungergefühl, doch nach mehreren Stunden intensiver Denkarbeit verlangt auch mein Magen nach einem leichten Sommeressen. Nur, welches japanische Essen passt besonders gut zum heißen Wetter?
„Kabayaki!“, ruft mir meine Kommilitonin Tomoko wie aus der Pistole geschossen entgegen. Gebratener Aal? Ich blicke sie entgeistert an. Die Vorstellung diesen besonders fettigen Fisch an einem heißen Tag zu essen erscheint mir in etwa so verlockend wie Schweinshaxe am Strand zu genießen. Wie wäre es mit einem „richtigen“, leichten japanischen Sommeressen wie angenehm kühlen Zaru-Soba-Nudeln? „Nein, nein! Heute ist doyou no ushi no hi (土用の丑の日). Du musst unbedingt Aal probieren!“, bestimmt Tomoko. „Der Hochsommertag des Ochsen“? Aal? Ich verstehe nicht so ganz was sie mir sagen will.
Überall Aal – Japanisches Sommeressen am Tag des Ochsen
Während wir uns im Schatten der spärlichen gesäten Bäume vom Campus schleppen fallen mir die unzähligen Werbetafeln auf, die ich am Morgen einfach übersehen habe. Überall wird Aal in unterschiedlichen Variationen angepriesen. Selbst der kleine Bento-Shop am Bahnhof, dessen über 80 jährige Besitzerin konsequent jeder Veränderung zu trotzen scheint, bietet heute eine spezielle Unagi (Aal) Lunchbox an.
Aal zu essen ist für Japaner nichts Ungewöhnliches. Es gibt unzählige Gerichte in denen der schlangenförmige Fisch Verwendung findet. Beim oben erwähnten Kabayaki (蒲焼き) wird er beispielsweise der Länge nach aufgeschnitten, mit einer Art Teriyaki-Soße bestrichen und an Spießen über Holzkohle gegrillt. Optisch erinnert das ganze dabei an den Breitblättrigen Rohrkolben (kaba), den man ihn oft in Sümpfen oder am Rand eines Teiches sehen kann. Daher auch der Name des Gerichts: „Gebratener Rohrkolben“. Serviert auf einer Schale Reis erhält man ein leckeres und nahrhaftes japanisches Essen. Als Nichtjapaner würde man es allerdings nicht unbedingt als perfekte Sommermahlzeit bezeichnen. Was hat es also mit dem Aal am Tag des Ochsen auf sich?
Doyou no ushi no hi - Der Tag des Ochsen im Hochsommer
Der Hochsommertag des Ochsen (doyou no ushi no hi) wird jedes Jahr nach dem traditionellen chinesischen Kalender mit seinen Tierkreiszeichen bestimmt. Als „doyou“ bezeichnet man die letzten 18 Tage vor einem Jahreszeitenwechsel. In diesem Fall das Ende des Hochsommers. Da sich das traditionelle Kalendersystem nicht mit dem heute in Japan verwendeten westlichen Kalender deckt, fällt der Tag des Ochsen jedes Jahr auf einen anderen Tag zwischen Mitte Juli und Anfang August. Dabei kann es durchaus vorkommen, dass wie im Jahr 2015 zwei Tage des Ochsen (ushi no hi) in diesen Zeitraum fallen.
Unagi - Aal als Glücksbringer und Heilmittel gegen die Sommermüdigkeit
Seit Jahrhunderten gibt es in Japan den Glauben, dass es Glück bringt am Tag des Ochsen Dinge zu essen, die, wie das japanische Wort für Ochse „ushi“, mit „u“ beginnen. Allerdings gibt es neben Aal (unagi) eine Menge japanischer Speisen, die dieses Kriterium erfüllen und auf den ersten Blick besser zum heißen Sommerwetter Japans passen würden.
Dass sich das Aalessen, an diesem speziellen Sommertag, durchsetzen konnte geht der Legende nach auf eine geschickte Werbeaktion eines Aal-Restaurantbesitzers zurück. Dieser erlebte jedes Jahr im Sommer wie seine Gewinne aufgrund der Hitze bedrohlich dahin schmolzen. In einem besonders verkaufsarmen Sommer wandte er sich Hilfe suchend an den berühmten Schriftsteller und Gelehrten Hiraga Gennai (1728-1780), wie er die Leute dazu bringen könnte mehr Aal während des Sommers zu essen. Hiraga, bekannt für sein umfangreiches Wissen in traditioneller Medizin, riet ihm dazu den nährstoffreichen Aal als perfektes Mittel gegen die Sommermüdigkeit am Tag des Ochsen zu bewerben. Gesagt, getan. Beim nächsten Termin stand ein großes Werbeschild vor dem Lokal, das die Menschen an die Glück verheißende Bedeutung des Tages erinnerte und auf die Vorzüge des Aalkonsums im Sommer aufmerksam machte. Mit durchschlagendem Erfolg. Schnell übernahmen andere Restaurantbetreiber die Idee, die heute als Tradition in der japanischen Kultur verwurzelt ist. Der Verzehr von Aal am „doyou no ushi no hi“ soll nicht nur Glück bringen, sondern auch besonders viel Kraft und Ausdauer während der letzten richtig heißen Tage des Jahres bescheren.
Kann ich diese Wirkung bestätigen? Nicht wirklich. Auch nach einem leckeren japanischen Aalessen lässt sich eine Seminararbeit nicht schneller schreiben und ich entschied mich den Rest des Nachmittags, mit Verweis auf Natsubate (Sommermüdigkeit), im nahegelegenen Park zu verbringen. Unbestreitbar hat diese Tradition aber dazu beigetragen, den lange als Armeleuteessen verschrienen, Aal auch in den höheren Gesellschaftsschichten Japans populär zumachen und zur heutigen Vielfalt an köstlichen Aal-Gerichten beigetragen. Und wie ich nun bestätigen kann ist ein japanisches Aal-Gericht zu wirklich jeder Jahreszeit ein kulinarischer Genuss.
Wer Lust bekommen hat sein eigenes Aal-Bento zusammenzustellen findet übrigens die passende Bento-Box auf Japanwelt;)
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